LYRIK

 

Am Fenster

 

 

Oft wandern
meine Augen durch
die oxydierten Fensterscheiben,
tasten sich vorsichtig
an der Hauswand entlang
und verlassen
den trüben Hinterhof.

Draußen
in der Welt
muss es interessant sein.
Meine Augen haben
Verspätung,
erst gegen Morgen
kehren sie zurück,
übernächtigt zwar,
doch vollgesaugt
mit Leben.
Davon
lasse ich

mir berichten.

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Zurück in die Versteinerung

 

 Seit deinem Abschied

 brennt die Kerzenstimme

 unentwegt im Fenster.

 Gewissheit gab

 der Flamme Nahrung,

 dass du eines Tages kommst

 und an die schwere

 Steintür pochst.

 

Die alte Frau,

 erkennst du sie?

 Erzähle ihr dein Leben,

 während sie die

 Kerze löscht,

 die deinen Namen rief.

 

Das ist dein Zurück,

 leg ab dein Fleisch

 wie einen Mantel

 und sei willkommen,

 du bist kein Fremder.

 

 Deine Mutter,

 der runzlige graue Stein,

 hat dich wieder.

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Eukalyptusnacht

 

 Nach dieser Eukalyptusnacht

 unter südlichem Himmel,

 noch eine letzte Achterbahnfahrt

 zu den Sternen

 und zurück,

 knöcheltief stehn wir im Glück,

 und höre nur,

 die Zeit steht still.

 

 Frühe Julisonne

 kommt auf Zehenspitzen

 und schüttet Licht

 vor unsere Füße.

 

Untrennbar

 sind unsere beiden Körper

 haut- und leibverschweißt,

 vereint im zweigeteilten Traum,

 gehört dein Arm

 zugleich auch mir,

 

In deinem atemschweren Mund

 spiegeln sich meine Worte.

 und werfen Schatten.

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 Mit der nächsten Welle

 

 Man hat uns gesagt,

 dies hier sei die Stelle,

 man hat uns gesagt,

 mit der nächsten Welle

 kommt das Boot,

 das uns alle rettet vor´m Ertrinken,

 und wir sah´n die Sonne

 aufgehn und wieder versinken.

 

 Hundertmal oder mehr,

 ungezählte Wochen,

 uns wurde das Blaue

 vom Himmel versprochen,

 dass man uns holt,

 uns alle oder keinen,

 wir sind schon seit

 ewiger Zeit auf den Beinen

 und warten, warten

 auf den großen Regen,

 auf irgendein Zeichen

 oder einen Segen,

 man hat uns in Treu

 und Glauben erzogen,

 und nun warten wir hier

 auf den Regenbogen.

 

Man hat uns gesagt,

 dies hier sei die Stelle,

 man hat uns gesagt,

 mit der nächsten Welle

 kommt das Boot und

 es wird uns über´s Wasser tragen,

 doch wann es so weit ist,

 kann uns keiner sagen.

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Lass uns nicht von Liebe reden

Von mir aus braucht es nicht zu tagen,
ich wünschte mir, es bliebe Nacht,
lass mich bis morgen früh um acht
an deinen feuchten Lippen nagen,
ich werde Eva zu dir sagen.

Genießen wir den Garten Eden,
gib dich mir hin und schließ
deine Augen wie Fensterläden,
wir sind nur kurz im Paradies.
Lass uns nicht von Liebe reden.

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Automatenpoesie

Manchmal geschieht es in der Nacht,
noch lang, bevor der Tag erwacht,
dann regieren seltsam fremde Mächte
und sie öffnen Automatenschächte.
Dann ist es mit der Ruhe aus,
das Bier in Dosen rollt heraus,
wobei sie hart auf den Boden krachen
und wie Kinder auf der Rutschbahn lachen.

Es riecht in der Luft nach verschüttetem Bier,
und Pralinen wickeln sich aus dem Papier,
erst zeigen sie Beine, und dann noch viel mehr,
als wenn hier eine sündige Meile wär.

Niemand von uns hat je gesehn,
wenn Zigaretten aufrecht gehn,
wenn sie sich, berauscht von Malz und Hopfen,
grölend auf die schmalen Schultern klopfen.
Sie spielen Karten mit Radau,
Räuberskat, Poker und Mau - Mau,
und dabei geraten sie ins Streiten,
die ganze Sache scheint zu entgleiten.

Wütende Glimmstengel fackeln nicht lange,
und schon ist eine Keilerei im Gange,
es ist ein Gezeter, ein wildes Geschrei,

ein Schokoriegel ruft nach der Polizei.

Bierernst in einer Nische tagt
der hohe Automatenrat,
sie sind klug und weise und tun ganz wichtig,
und was sie beschließen, ist immer richtig.
Dann kommt die Automatenband,
sie spielen Songs, die jeder kennt,
und eine besonders süße Praline
verrenkt sich zum Takt der Rhythmus-Maschine.

Schon naht der Morgen, es ist kurz nach drei,
die Müllabfuhr kommt, und der Spuk ist vorbei,
sauber und gründlich kehren die Besen,
als wäre hier vorher nie was gewesen.

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Ende September

Baldiges
Wintergras,
zurück gewachsene Wiese,
Stabwechsel der Jahreszeiten,
ein Mundharmonika spielender Wind
lädt zum Tanz
der welken Blätter,
um die Ecke
lauert schon der Winter,
Angst geht um
vor kalten blauen Lippen
und Luftschiffmatrosen
mit eingezogenen Schultern
setzen hastig Segel
und freuen sich sich
auf die Mädchen
und den Wein in den Tavernen
südlicher Häfen.

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 Aufbruch

 

 Morgenrot
wächst die Mauern hoch
und die Tauben
sticht der Hafer,
kerzengerader krummer Bogen
schläft auf Seide,
auch die andern träumen noch.
Lasst sie doch,
lasst sie
noch nicht merken,
dass ...

Schon warten
die Bäume,
Blätter und Zweige
in Koffern verpackt,
die älteren
von ihnen zuerst
ohne Sattel
aufgesessen.
Sogleich
scheuert sich
Rinde auf
rauem Asphalt,
und die Strasse
nimmt die Stadt,
trägt sie auf
dem Rücken fort,
und die andern
schlafen noch.
Lasst sie noch
nicht merken,
dass...

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Bring Liebe mit


Der Trommler am Fenster,
Herbstmusikant,
Tänzer von einem Bein
auf das andere
und du noch weit
wie der warme Wind
von den Inseln.

Ich habe bereits
unsere Farben angemischt,
mein Herz auf ein schnelles Pferd gesetzt,
die Einsamkeit im Schrank versteckt
jetzt warte ich auf das
Öffnen der Tür von außen,
auf dich,
die nie mit leeren Händen
zu mir kommt.
Bring Liebe mit.

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Inseln im Eis

 

Und jedes Mal gibt der April
uns Rätsel auf,
launisch und bis
auf die Knochen
unzuverlässig,
wie sein klappriges Rad,
das ständig Luft verliert.
Oft sieht man ihn daher
auf dem Rücken eines Esels sitzend
saxophonspielend
durch die Straßen reiten.

Er war noch nie am Ende der Welt,
und die Adern seiner Träume
leiden an Arterienverkalkung,
sein Atem riecht nach Chloroform,
und irgendwo
am Straßenrand winkt ein
verdrecktes Taschentuch,
es war mal früher unschuldsweiß.
Alles wird älter,
auch der April,
nun schlurft er müde durch den Schnee
bis zu seinem Ruderboot,
und er murmelt vor sich hin:
das wird Schwielen an den Händen geben,

 
Er gibt uns ständig Rätsel auf,
der April,
in seinem Bademantel,
filzpantoffelbefußt,
sitzt er in seinem Boot
und rudert in Richtung Winter
zu den Inseln im Eis.

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Neue Wege

Neue Wege will ich gehen,
frei im Tun und handeln sein,
mich noch einmal umzudrehen,
das fällt mir im Traum nicht ein.

Gradeaus den Blick gerichtet,
losgelöst von Druck und Zwang,
nichts und niemandem verpflichtet,
so geh ich den Weg entlang.

Mag nicht länger lustlos kauen
schweißgetränkt mein täglich Brot,
von der Früh im Morgengrauen
bis zum späten Abendrot.

Fremde Sterne will ich sehen,
dazu ist es nie zu spät,
neue Wege will ich gehen
und die Spur zurück verweht.

Wenn die jungen Hunde tollen,
gibt´s kein Halten mehr für mich,
und ich bring den Stein in´s Rollen,
und der Stein der rollt, bin ich.

Weil schon Würmer an mir nagen,
ist es besser, ich geh fort,
will woanders Wurzeln schlagen,
wo man nicht so schnell verdorrt.

Neue Wege will ich finden,
denn mein Gestern bin ich leid,
und daraus will ich verschwinden,
mich verändern mit der Zeit.

Eine Lücke mag entstehen,
eine Spur, die schnell verweht,
ja,ich glaub, es wird geschehen,
dass ein Baum auf Reisen geht.

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Stehen auf einem Bein

Allmählich nackt wird der Baum
die Landschaft dreht einen Stummfilm,
furchtloser Spatz
im Rohr der Haubitze,
wie jeden Morgen
ertrinken 2 Fliegen
in meinem Glas Milch,
wo sind sie hin, die vielen Worte
aus meinem immergrünen Alphabet.

Ich muss mal raus,
zu lange dauert schon
der ewige Urlaub im Einst.

Seit Jahren schon
nicht mehr geweint,
nicht mehr gebetet,
gestanden nur auf einem Bein,
bewegungslos
und abgewartet,
Grünspan angesetzt,
die Nahrung
stur verweigert,
nur Haut und Knochen,
den Mund verklebt,
das Herz genagelt an die Rippen,
beinah schon taub und sehe
ohne Augen Schiffe
in der Ferne sinken.

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 Das Mädchen mit der goldenen Angel

Das Mädchen,
dem die Fische folgen,
geht sonntags zur Messe.
Das Mädchen,
von dem sich der Kerzenschein
abwendet,
mit dem unschuldigen Gesicht
und der
Brautschleierblässe,
hängt die feuchten Netzstrümpfe
zum Trocknen auf.
Der Vater,
der die Fische ausnimmt
und die Angel liebkost,
das Jaulen der Hunde,
die nach den
vergrabenen Knochen
buddeln.

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 Rosen im Kühlschrank

Wenn meine Liebste schweigt,
dann wird das Klappern
meiner Schreibmaschine leiser.
Beklagenswert:
Ich lebe ab.
Nun krieg ich das Gedicht
nicht fertig.

Wenn meine Liebste schweigt,
nimmt sie die Rosen aus dem Kühlschrank
und deckt mich damit zu.
Ich hab´s verdient,
sie weiß,
ich leide für uns beide.

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Travelling Hearts

Mit Liebe überschüttet,
den Körper zudeckt mit Küssen,
es dominiert die Farbe Rot,
uns platzt das Glück aus allen Nähten,
so komme ich von dir nicht los,
du hast mich wohl zu fest
an dich gebunden,
ohne Schere geht nichts mehr.

Es scheint, als wackelten die Wände,
als schwebte dieser abgenutzte Teppich
begleitet vom Rauschen des Windes
mit uns bis nach Honolulu,
wie geht das zu mit rechten Dingen?

Sieh nur das schaukelnde Papierschiff,
wir als einzige Passagiere,
seekrank vor Gefühlen,
der Kurs ziemlich egal,
immer nur dem Herzen nach,
Hauptsache Richtung Liebe.

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 Wir machen Musik

Alles was tot ist,
spielt keine Geige mehr,
ist das nicht schade?

Die wir noch leben,
sind gut bei Stimme.

Wir machen Musik,
auch der Elefant im Zoo
spielt gern Trompete,
und das Meer hat sein Orchester,
und der Mond hat eine
Stradivari,
und wir heulen mit den Wölfen,
und der Hahn kräht früh am Morgen,
und den Vogel holt die Katze,
irgendwo
verstummt ein Lied
auf dem Marsch
in´s lange Schweigen.

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 Barfuß auf einem Nagelbrett

Kein Wasser mehr auf
meiner Mühle,
Gefühle in den
Brunnen gefallen,
jemand spielt Fußball
mit meinem Kopf,

Unsere Blicke
kreuzen die Klingen
du mit der tropfenden
roten Farbe auf den Lippen,
in deiner Wildnis
kreuz- und quergeliebt,
dem hungrigen Löwen in´s
Auge gesehen,
Seiltänzer über die
Niagarafälle,
von dir ohne Wasser
in die Wüste geschickt.

Sag mir wenigstens,
wie möchtest du dein Frühstücksei,
und wo ist das vierblättrige Kleeblatt
aus dem Buch,
das ich über dich schreiben werde.

Sitzend auf dem
gepackten Koffer,
deine Wimpern schlagen
im Sekundentakt,
zieh bitte deinen Lidstrich nach,
wo stehen wir jetzt?


Steilwand,
herrliche Aussicht,
wir dürfen nicht fallen,
der Gedanke daran schmerzt
als stünde ich ohne Schuh
barfuß
auf einem Nagelbrett
mutterseelenallein unterhalb des Siebten Himmels.

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alle Texte copyright by siegfried schreck